Einführung
Wir betrachten die Ornamente und auf Grund unserer Sehgewohnheiten, suchen wir nach Wiederholungen und Geometrien. Wir erwarten, dass sich Rosetten zu einem Kreis schließen. Doch immer wieder brechen einzelne Formen aus begonnenen Mustern aus, irritieren unser Auge und zeigen uns gleich- zeitig, wie diese ausgebrochenen Formen neue harmonische Muster erzeugen. Wir nehmen visuell wahr, dass Veränderungen möglich sind und ein schöner Prozess sein können. Der Ausbruch aus der Norm, die Abweichung von den Erwartungen erzeugt kein Chaos in dem wir die Orientierung verlieren, vielmehr zeichnet sich ein Prozess der Lebendigkeit ab, der unser Vertrauen in die kommende Veränderung stärkt und die Sehnsucht nach diesen Prozessen wecken kann.
Hier gebe ich einen Einblick in meine sieben textilen Ornamente der Lebendigkeit, die den künstlerisch-praktischen Teil meines Diploms darstellen. Hier wird das üblicherweise als dekoratives Element betrachtete Ornament zur Methode der künstlerischen Forschung. Die Forschungsfragen nehmen Bezug auf verinnerlichte Handlungsmuster, Möglichkeitsspielräume und Bedingungen für selbstbestimmte Veränderungsprozesse. Im Besonderen verfolgen die Untersuchungen das Ziel binäre Gender-Normen aufzubrechen und diesen neu definierte Normen der Möglichkeit entgegen zu stellen. Bezug nehmend auf Judith Butler, bezeichne ich hiermit Normen, die alle möglichen Formen des Menschlichen implizieren. Die Gewalt gegen Individuen, die den binären Normen nicht entsprechen, soll gemindert und allen ein selbstbestimmtes, lebenswertes Leben, unabhängig von der Kategorie Gender ermöglicht werden. Die Normen der Möglichkeit stehen auf philosophisch-soziologischer Ebene für den Bereich, der auf künstlerisch-abstrakter Ebene innerhalb der Ornamente der Lebendigkeit untersucht wird.
In der Künstlerischen Forschung fließen die zunächst weit auseinander liegenden Themen- bereiche des Ornaments und der Gender-Normen in produktiver Weise zusammen und erzeugen Erkenntnisse auf visuell wahrnehmbarer Ebene. Möglich wird diese Verknüpfung
durch die Parallele, dass sowohl Ornamente als auch Normen durch die vielfache Wiederho- lung gleicher und form_ähnlicher Handlungs_Muster entstehen.
Die Forschungsfragen werden mit Hilfe meines ornamentalen Werkzeugkoffers und den konkreten Möglichkeiten der textilen Technik der Jaquardweberei untersucht.
Die künstlerische Forschung findet auf abstrakter Ebene statt. Es wird nicht mit genderspezifischen Assoziationen von Farben und Formzuschreibungen gearbeitet. Vielmehr werden die Untersuchungen auf struktureller Ebene durchgeführt.
Das Ornament ist in meiner künstlerischen Arbeit die Methode der Forschung, deshalb ist vor allem seine Funktionsweise, also die Art und Weise wie es konstruiert und Aufgebaut wird, relevant. Diese habe ich durch die Betrachtung traditioneller islamischer Ornamentik kennengelernt und auf dieser Grundlage begonnen, mir meinen eigenen ornamentalen Werkzeugkoffer zu erarbeiten. Meine Ornamente setzen sich aus vielen Einzelbau- steinen zusammen, welche ich als Kacheln bezeichne. Diese Kacheln haben stets den Umriss gleichseitiger Dreiecke. Auf diesen Dreiecken befinden sich unterschiedliche Grundformen. In meinen textilen Ornamenten der Lebendigkeit habe ich Kacheln mit 8 unter- schiedlichen Grundformen verwendet. Diese zur Verfügung stehenden Kacheln können beliebig oft verwendet und miteinander kombiniert werden. Sie bewegen sich innerhalb eines Rasters gleichseitiger Dreiecke. Schon diese Grundstruktur des gleichseitigen Dreiecks bricht strukturell mit binären Prinzipien. Mein ornamentaler Werkzeugkoffer beinhaltet somit Normen sprengendes Potenzial. Er umfasst mein ornamentales Formenalphabet und Regeln und Möglichkeitsspielräume für deren Anwendung, die auch Farben und Materialität betreffen.
Ich arbeite mit einem Baukasten-Prinzip. Ich begrenze mich auf eine bestimmte Anzahl von Einzelelementen, die durch variable Kombinationsmöglichkeiten, eine Vielzahl diverser Ornamente erzeugen können. Dieses Prinzip zieht sich durch meine künstlerische Arbeit. So wie sich die Ornamente aus einer begrenzten Anzahl von Grundformen zusammensetzen, wird auch die Vielzahl der Farbtöne in dem Gewebe durch die Kombination einer begrenzten Anzahl von Garnfarben gemischt.
Die verschraubte Metallkonstruktion der Aufhängung auf der Rückseite der Textilien und an den Deckenbalken, setzt sich aus Einzelelementen zusammen, die sich auseinander bauen und neu zusammen setzen lassen. Hier ziehe ich eine Verknüpfung zur soziologischen Ebene meiner Forschung – auch unsere Persönlichkeit setzt sich aus vielen unterschiedlichen Eigenschaften zusammen. Durch die Kombination bestimmter Eigenschaften, wie Aussehen, Stimme, Verhalten, etc. und den Ausschluss anderer Eigenschaften, werden Personen derzeit in unserer Gesellschaft in die Kategorien “Mann” und “Frau“ eingeteilt oder in ihrer Differenz zu diesen Kategorien definiert. Starre, binäre Gender-Vorstellungen führen zu sehr eingeschränkten Kombinationsmöglichkeiten. Durch eine Auflösung der binären Gender-Normen hingegen, könnten alle Menschen ihre Persönlichkeit individuell und selbstbestimmt verwirklichen.
Die künstlerische Forschung führte auf der ästhetischen Ebene zu den sieben textilen Ornamenten der Lebendigkeit. Diese wurden frei hängend im Raum installiert und umfassen als Gesamtbild eine Fläche von ca. 3,5 x 7 m. Die einzelnen Gewebe entstanden jeweils auf einer Webbreite von 1,2 m und einer Weblänge zwischen 1,1 und 3,2 m. Ihre finalen Umrisse brechen jedoch aus der rechteckigen Form aus und orientieren sich stattdessen an der Dreiecksstruktur der Ornamentik. Umgesetzt wurden sie als Doppelgewebe mit teil- weise langen Flottungen auf einem Hand-Jaquard-Webstuhl. Das Gewebe besteht aus einer dünnen, stabilen Polyesterkette und starkem Leinen als Schussmaterial, wodurch ein festes Gewebe entstand.
Die künstlerische Forschung, die mit der abstrakten Ornamentik arbeitet, eröffnet einen vielschichtigen Zugang zum Themenkomplex Normativität und Gender. Sprache und figurative sowie symbolische Elemente, die bestimmte Assoziationen wachrufen, rücken in den Hintergrund. Dies ermöglicht eine offenere Auseinandersetzung. Prozesse der Veränderung und der Lebendigkeit innerhalb eines strukturierten, normierenden Umfeldes, werden auf visueller Ebene sinnlich erlebbar und begreifbar. Diese Arbeit kann daher als ein Positivbeispiel für Veränderung und das Aufbrechen von Normen betrachtet werden.
Introduction
We look at the ornaments and, based on our viewing habits, we look for repetitions and geometries. We expect rosettes to form a circle. But again and again, individual forms break out of begun patterns, irritating our eyes and at
the same time showing us how these broken out forms create new harmonic patterns. We perceive visually that changes are possible and can be a beautiful process. The break out of the norm, the deviation from expectations does not create chaos in which we lose our orientation, rather a process of liveliness is emerging, which strengthens our confidence in the coming change and can awaken the longing for these processes.
Here I present my seven textile ornaments of liveliness, which are the artistic-practical part of my diploma. Here the ornament, usually considered as a decorative element, becomes the method of artistic research. The research questions refer to internalised patterns of action, scope for possibility and conditions for self-determined processes of change. In particular, the investigations pursue the goal of breaking up binary gender norms and confronting these newly defined norms with possibility. Referring to Judith Butler, I hereby refer to norms that imply all possible forms of the human being. Violence against individuals who do not conform to binary norms is to be reduced and everyone
is to be enabled to lead a self-determined life worth living, regardless of the category of gender. On a philosophical-sociological level, the norms of possibility stand for the area that is examined on an artistic-abstract level within the ornaments of vitality.
In artistic research, the initially widely diver- gent thematic areas of ornament and gender norms merge in a productive way and generate insights on a visually perceptible level. This linkage is made possible by the parallel that both ornaments and norms are created through the multiple repetition of identical and form_like patterns of action.
The research questions are examined with the help of my ornamental toolbox and the concrete possibilities of the textile technique of Jacquard weaving.
The artistic research takes place on an abstract level. It does not work with gender-specific associations of colours and form attributions. Instead, the investigations are carried out on a structural level.
In my artistic work, the ornament is the method of research, therefore its mode of operation, i.e. the way it is constructed and built up, is parti- cularly relevant. I got to know this by observing traditional Islamic ornamentation and on this basis I started to work out my own ornamental toolbox. My ornaments are composed of many individual building blocks, which I call tiles. These tiles always have the outline of equi- lateral triangles. On these triangles there are different basic shapes. In my textile ornaments of liveliness I have used tiles with 8 different basic forms. These available tiles can be used and combined with each other as often as
you like. They move within a grid of equilateral triangles. Even this basic structure of the equi- lateral triangle breaks with binary principles. My ornamental toolbox thus contains a potential that goes beyond the norm. It contains
my ornamental formal alphabet and rules and possibilities for their application, which also concern colours and materiality. I work with a modular principle. I limit myself to a certain number of individual elements, which can create a multitude of different ornaments through variable combination possibilities. This principle runs through my artistic work. Just
as the ornaments are composed of a limited number of basic forms, the multitude of colour shades in the fabric is also mixed by combining a limited number of yarn colours. The screwed metal construction of the suspension on the back of the textiles and on the ceiling beams
is made up of individual elements that can be taken apart and put together again. Here I draw a link to the sociological level of my research – our personality is also composed of many different characteristics. By combining certain characteristics, such as appearance, voice, behaviour, etc., and excluding other characteristics, people are currently divided into the categories „man“ and „woman“ in our society or defined in their difference to these categories. Rigid, binary gender concepts lead to very limited possibilities of combination. By dissolving binary gender norms, on the other hand, all people could realize their personality individually and self-determined.
On the aesthetic level, artistic research led to the seven textile ornaments of liveliness. These were installed freely suspended in the room and cover an area of approx. 3.5 x 7 m as a whole. The individual fabrics were each created on a weave width of 1.2 m and a weave length between 1.1 and 3.2 m. Their final contours, however, break out of the rectangular form and are instead based on the triangular structure of the ornamentation. They were woven as a double weave with partly long floats on a handjacquard loom. The fabric consists of a thin, stable polyester warp and strong linen as weft material, resulting in a strong weave.
The artistic research that works with abstract ornamentation opens up a multilayered approach to the complex of themes of normativity and gender. Language and figurative as well as symbolic elements, which evoke certain associations, move into the background. This enables a more open discussion. Processes
of change and liveliness within a structured, normative environment become sensually perceptible and understandable on a visual level. This work can therefore be seen as a positive example of change and the breaking of norms.